Erde am Ende: Anders leben

Sibylle Berg bekam viel Lob für das Buch "Nerds retten die Welt. Gespräche mit denen, die es wissen". Sie interviewt darin hochkarätige Wissenschaftler aus aller Welt, woran sie forschen.

Sie unterhält sich z. B. mit dem Computer-Sozialwissenschaftler Prof. Dirk Helbing, der in Zürich und Delft lehrt. Er erforscht, wie große Systeme funktionieren und wie man Katastrophen besser regelt. Eine seiner Forderungen ist: Wir müssen die Erde wieder tragfähig machen und stark - nach dem zu großen Raubbau an der Natur.

Helbing sagt: Die Grenzen des Wachstums sind erreicht. Wasser und Öl gehen aus. Mit dem Öl kam eine Bevölkerungsexplosion. Deshalb gibt es bald nicht mehr genug Dienstleistungen pro Kopf, das heißt die Versorgung bricht ab. So könnten ab dem Jahr 2050 einige Milliarden Menschen sterben.

Helbing weiter: Unser "Kapitalismus 1.0" ist kein Naturgesetz. Ab den 70er Jahren hätte man pro Jahr 3 % der Ressourcen (= Naturvorräte) der Erde sparen sollen, dann hätten wir heute eine nachhaltige Wirtschaft. Fallen nämlich einmal die Ressourcen weg, "dann schnappt die Falle zu". Dann ist das System nicht mehr bequem und komfortabel, sondern es heißt: Wer kriegt noch was? Wer hat Pech?

Und wir sollten raus aus der bequemen Konsum-Lethargie, sollten die Politiker wecken und die Geheim- und Sicherheitsdienste transparent machen. Weiter müssten wir, so Helbing, die Finanz-, Geld- und Wirtschaftssysteme ändern - z. B. mit Blockchain.

Eine Hoffnung angesichts all der Krisen ist, dass das Militär bald seine zurückgehaltenen Technologien freigibt.

Helbing sieht bedenkliche Anzeichen für einen neuen digitalen Faschismus: Massenüberwachung, Propaganda, Zensur, Gleichschaltung, Angriffe auf die Menschenrechte. Die Menschen akzeptieren zu leicht eine "wohlwollende Diktatur", die Big Data liest und Algorithmen einsetzt. Man sollte aber einem neuen Polizeistaat vorbeugen. Wenn wir nicht aufpassen, kommt ein technischer Totalitarismus.

China hat schon ein Punktesystem, warnt Helbing: Gute Bürger erhalten Punkte, schlechte mit vielen Minuspunkten bekommen erhebliche Nachteile. In England hat der Geheimdienst das "Karma Police Programm", eine Art digitales "Jüngstes Gericht". Helbing: Wir haben das fast perfekte digitale Gefängnis, eine Big Brother-Welt mit Neofeudalismus und dem Mitmischen von Unternehmen und Staat. Aber es gibt schon "Pretty Easy Privacy" (PEP), womit jeder seine Daten gegen Überwachung und Konsum-Manipulation verschlüsseln kann.

Es sollte überhaupt eine Datenmailbox für jeden einzelnen geben, worüber nur er bestimmt. Firmen und Geheimdienste holen ja bisher kostenlos ihre Informationen aus dem Internet, ohne dass sich der einzelne wehren kann. Wenn diese Daten privat sind und umworben werden müssen, bis sie einer preisgibt, dann entsteht eine Vertrauensgesellschaft.

Es gibt schon Maschinen, die die Gefühle des Menschen lesen. Er wird manipuliert und überwacht. Dann kommen Vorschriften, dann Strafen. Das ist kein Zufall, sagt Helbing, sondern Google spielt Gott: Google ist allgegenwärtig und allwissend, erzeugt künstliches Leben und schafft künstliche Intelligenz. Daraus entstehen digitale Untertanen. Jeder hat sowieso schon sein digitales Double.

Helbing fordert: Keine Mangelverwaltung mehr, sondern die Erd-Tragfähigkeit erhöhen = durch gemeinsame Intelligenz und gemeinsame Innovation. Das ist "demokratischer Kapitalismus". Die Demokratie und der Kapitalismus waren bisher einzeln erfolgreich. Aber leider vergass man bei der Gründung der Demokratie, das Geldsystem mit einzubeziehen. Statt privilegierter Könige haben wir jetzt privilegierte Unternehmen. Die Demokratie und der Kapitalismus müssen versöhnt werden.

Helbing stellt fünf Forderungen:

1. Ein Grundeinkommen für jeden (weil die Roboter uns die Arbeit wegnehmen), entweder für alle in gleicher Höhe oder 60 % des vorherigen Lohns.

2. Crowdfunding (Geld für neue Firmenideen sammeln) für alle, d. h. mehr Wettbewerb und Breiteninnovation

3. Unsere Probleme nachhaltig und vielfältig lösen

4. Eine digitale Demokratie = die gemeinsame Intelligenz steigern

5. Städtewettbewerbe für das Lösen von Weltproblemen

Er wünscht sich auch ein neues Geldsystem, das allen zugute kommt. Bisher war es eindimensional und schuf deshalb "reich" und "arm" sowie "mächtig" und "ohnmächtig". Daraus entstand eine geschichtete Gesellschaft. Doch wir brauchen ein sozio-ökologisches Finanzsystem und verschiedenes Geld für verschiedene Ressourcen. Das ergibt eine bessere Organisation.

Heute wachsen, so Helbing, die rücksichtslosen Unternehmen am Schnellsten. Aber auch umweltfreundliche Firmen sollten viel Geld verdienen können - durch eine Kreislaufwirtschaft und eine Sharing Economy (Wirtschaft des Teilens).

Jeder Mensch sollte zudem eine Investment-Prämie haben. Mit ihr kann er dann eigene Projekte starten - oder er fördert damit das Crowdfunding eines anderen Projekts. So kommt es dazu, dass viele Leute viele Projekte haben.

Und es muss, so Helbing weiter, digitale Plattformen geben, wo man für sein Projekt Hilfe findet. D. h. wo man Experten trifft, die einen beraten.

Helbing würde auch Plattformen für digitale Demokratie einrichten. Dort soll dann nicht der gewinnen, der am lautesten schreit (wie bei Facebook), sondern man vergleicht ruhig seine Ansätze und findet eine Gesamtlösung, die für möglichst viele Leute funktioniert. "Das ist das Geheimnis der kollektiven Intelligenz."

Helbing schließt: Auch einzelne Städte sollten an Problemen tüfteln. Dann entsteht eine best-of-Liste für Lösungen, die anschließend jeder benutzen kann. So wird eine top Gesellschaft entfesselt, und die Weltprobleme sind schnell gelöst.





Kontakt: Th. Knauber - E-Mail