Der Wald: Neue Einblicke
Leonie Gass zeigte bei den "Waldkontroversen" der Uni Bayreuth tabellarisch, wie sich das Wetter zwischen 1961 und 2024 in Bezug auf Dürren änderte. Schlagartig beginnen diese Dürren ab 2018.
Von 2018 bis 2022 verlor Deutschland 4,9 % an Waldkronenfläche, Bayern 3 %. Im Sauerland und Harz sind es 30 %, in Passau 20 %. Bei uns bis zu 7 %.
Der Forstwissenschaftler Dr. Christian Kölling aus Fürth blickte zurück: Die Massenanpflanzung der Kiefer im Nürnberger Raum geht 650 Jahre zurück, als man erstmals erkannte: Wer fällt, muss nachpflanzen. Dann kam 2011 der Schock: Erste dürre Kiefern in Mittelfranken.
Im Sauerland vertrockneten große Waldinseln. 2023 war dann der Frankenwald dran. Gras kam auf. Es verhindert das natürliche Nachwachsen der Bäume.
Kölling folgt nun diesem Weg: Er sucht Zwillings-Bereiche in Europa zum Nürnberger Bereich, d. h. Gebiete wie in Südfrankreich, um Turin, in Kroatien und Bosnien. Denn dort wachsen jene Bäume in einer Wärme, die in 20 Jahren bei uns herrscht. Deren Samen importiert er.
Analog müsste Finnland jetzt Nürnberger Baumsamen aussäen, weil Finnland in 20 Jahren das Nürnberger Klima hat.
Auslaufmodelle sind bei uns Lerche, Fichte, Birke, Buche, Tanne, Roteiche, Douglasie.
Momentan sollte man pflanzen: Strobe (Weymouthskiefer), Vogelkirsche, Robinie, Edelkastanie, Zerreiche (Zimeiche), Speierling.
Künftig muss man pflanzen: Manna-Esche, Flaumeiche, Feldulme, Silberpappel, Steineiche, Aleppokiefer, Erdbeerbaum.
Kölling empfiehlt, in Altbestände der Wälder kleine Inseln mit den neuen Bäumen einzustreuen, immer nur auf 200 m². Wichtig ist auch, Licht und Schatten zu geben. Denn einige Bäume brauchen Schatten.
Dr. Muhidin Seho vom bayerischen Amt für Waldgenetik zeigte, dass man nicht wahllos irgendeine aus Italien mitgenommene Baumart pflanzen soll, sondern von ihm geprüftes Saatgut säen. Er fährt bis nach Marokko, um z. B. die Atlaszeder zu importieren. Diese Länder geben aber unwillig Samen ab, anders als etwa Griechenland.
Seho: Bäume, die es wegen der Eiszeit nicht zu uns schafften, bekommen jetzt ihre Chance.
Seine Gen-Untersuchungen waren verblüffend: Rotbuchen aus Bulgarien, der Türkei, von Griechenland oder aus Deutschland haben komplett andere Charakter-Eigenschaften. Hier wählt er also die passendste Sorte für uns aus.
Er vermisste, dass seine Vorgänger mit exotischen Samen starteten, in amtlichen Plantagen. Heute fordert er jeden Waldbesitzer auf, mit seinem geprüften Samen zu säen und den Erfolg gut zu dokumentieren.
Generell gut sind z. B. die Baumhasel aus dem Kaukasus und die kalabrische Weißtanne. Für moorigen Grund empfiehlt er die Moorbirke und Moorspirke (eine Art der Latsche).
Der Biologe und Gutachter Rainer Gerber stellte hierzu aus dem Publikum die Frage, wie es mit Krankheiten bei importierten Samen steht. Denn bei uns hat die Hainbuche in den Städten oft Krebs. Die Baumhasel leidet unter Bakterien, der Bergahorn hat die Rußrindenkrankheit, die Esche das Triebsterben. Hier kann man nichts vorhersagen, so die Antwort. Und zur Esche: Es gibt schon teilresistente Eschen.
Gerber bepflanzte einen ganz kleinen eigenen Wald, 2500 m², aus Vergnügen mit 35 verschiedenen Bäumen. Dafür fällte er 12 Buchen. (Anm.: Die Frage ist, ob so viel Mischung gut ist, weil sich ja verschiedenartige Bäume bekämpfen. Ruhe kommt so nicht in den Wald. Es wird hart für die Bäume.)
Prof. Dr. Elisabeth Obermeier vom Bot. Garten Bt befasst sich mit Insekten im Wald. Auf einer Eiche leben z. B. 699 Insektenarten, weltweit manchmal 4000. Die Insekten machen 60 % aller Arten der Welt aus. In Deutschland sind 30 000 verschiedene Insekten bekannt, in der Welt eine Million. Sie bestäuben viel, sind Nahrung für andere Tiere und lüften den Boden.
Importiert man fremde Bäume, dann gilt als Regel: Je weiter entfernt verwandt ein exotischer Baum zum heimischen Vetter ist, desto weniger Insekten hat er. Also sollte man sich die Importbäume genau ansehen, auch in Bezug auf andere von ihm profitierende Tiere wie Vögel ( - und auf ihre Sturmfestigkeit achten).
Prof. Dr. Johanna Pausch (Agrarökologie, Uni Bt) stellte die Pilze im Boden vor, die zu 80 % mit Bäumen zusammenarbeiten: Sie liefern dem Baum Nährstoffe und bekommen dafür Zucker.
Ohne solche Pilze, die schon vor 400 Millionen Jahren so kooperierten, hätte es nie eine Pflanzenentwicklung gegeben.
Pilze sind teils auch Parasiten. Oder sie fangen Regenwürmer und essen sie. Oder sie speichern in ihrem Wurzelnetz in gigantischen Mengen C0².
Wenn wir jetzt fremde Bäume importieren, kommt das Pilz-Wurzelnetz mit zu uns. Bekriegt es jetzt das heimische Pilzwerk? Die Antwort ist: Je verwandter die Pilze sind, desto besser geht es. Aber in der Geschichte dauerte es oft Tausende von Jahren, bis sich Pilze anfreundeten.
Prof. Dr. Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme erinnerte an frühe Baum-Importe durch die Römer (Esskastanie, Walnuss) und später durch Kolumbus (Roteiche, Douglasie, Küstentanne). Im Moment haben wir in Deutschland 4,9 % Fremdbäume. Die Robinie und die Traubenkirsche sind hier die Gewinner.
Als die Roteiche im Oktober zum "Baum des Jahres" wurde, gab es Proteste, weil sie alles verdrängt. Genau wie der Eschen-Ahorn, der Götterbaum und Speierling.
Dr. Bolte: Man sollte in Deutschland 1/4 des Waldes (2,85 Mill ha) umbauen, weil die heimischen Bäume bald am Ende sind. Dabei ist zu beachten: Die Douglasie brennt bei Waldbränden zu gut. Und die Robinie verdrängt unerwartet alles, z. B. in der Lausitz alle Fichten. Aber ähnlich ging die Buche nach der Eiszeit vor: Sie verdrängte die Linden und Eichen.
Von "Robin Wood" kam Jana Ballenthien für einen kurzen Vortrag. Ich fand ihn sehr gut, weil er zeigte, wie tief sich diese Naturschützer in die Wissenschaft knien. Es machte Lust, bei ihnen mitzumachen. Aber von den Waldbesitzern kam am Ende scharfe Kritik: Jana Ballenthien will immer nur schützen und denkt nicht an den Kommerz, dass man mit Bäumen Geld verdienen will.
Sie sagte: Über 300 Mill Jahre kam der Wald allein zurecht. Weltweit haben wir heute enorme Waldflächen-Verluste (2022: zwei Mill Hektar "in Kalamitäten"). Trotzdem steigt die Nachfrage nach Holz. Allein Berlin will 2030 rund 1,6 Mill Tonnen Pellets verschüren.
Deutschland wollte einmal 5 % des Waldes schützen. Im Moment sind es nur 3,1.
Jana Ballenthien will: Mehr Totholz liegen lassen, weil es den Boden feucht hält; weniger Aufreißen und Plattfahren des Waldbodens; mehr Dialog mit den Waldbauern; eine Naturschutz-Liste.
Den Bereich zwischen Stuttgart, Kulmbach und Nürnberg bezeichnete sie als "ein Dreieck des Grauens" wegen der Waldschäden und Waldfällung/behandlung.
Alles, was jetzt an Waldumbau geschieht, kann auch umsonst sein, wenn die warme Meeres-Golfströmung des Atlantik reißt und Nordeuropa kalt wird, Südeuropa sehr heiß.
An diese Vorträge schloss sich eine Diskussion an. Das Ergebnis:
keine Fichten mehr anpflanzen
gemischt pflanzen, mit 4 oder 5 verschiedenen Baumarten. Weil das Sicherheit gibt.
in die Wälder Löcher schlagen für Licht
kein Über-Managemant betreiben - und beachten, dass es auch eine natürliche Verjüngung gibt. Die zulassen.
alle Aktionen von Naturschützern wie Robin Wood sind gut, weil sie dem Umfeld des Waldes helfen
die Esskastanie verdrängte einst auf den Kanaren ungeahnt den Lorbeerbaum - so wie jetzt der Götterbaum mit seiner 3. Generation explodiert und alles verdrängt
"Wir müssen jetzt handeln, sonst sterben Wald und Mensch."
eine Buche hat keine Wasserkontrolle. Sie verausgabt sich im Sommer schwitzend bis zum Kollaps. Fichten schließen da rechtzeitig ab.
Waldforscher, Waldbauern und Förster haben ein Kümmerer-Syndrom. Sie erledigen stumm den Job der Politik. Sie sollten sich laut wehren.
Förderprogramme gehen locker in die Äcker, kaum in die Wälder.
Die Forstwirtschaft handelt bisher "ziemlich kopflos", so Ch. Kölling. Sie braucht einen klaren Plan.