Weiter Vollgas trotz Klima-Warnung?

Die einladenden "Scientists for Future" (in Bt sind es 85 Wissenschaftler) waren platt, dass so viele Leute zum Vortrag von Professor Dr. Stefan Rahmstorf kamen. Das Audimax war voll, überwiegend mit jungen Leuten. Der Ozeanphysiker, der in Potsdam lehrt, hat übrigens europaweit die meisten Twitter-Follower in seiner Branche.

Frühe Weitsicht

Rahmstorf begann mit Alexander von Humboldt, der schon 1843 sagte: Das Roden von Wäldern und die Dampf- und Gasausstöße der Industrie werden unser Klima verändern. Jahrzehnte vorher hatte der Schwede Svante Arrhenius (1859 - 1927) den Treibhauseffekt erkannt und eine Erderwärmung um 4 Grad prophezeit - was den Nordländern gefiel, weil es bei ihnen so kalt war. Rahmstorf: "Der Treibhauseffekt ist unsere größte Stellschraube, um das Klima wieder in den Griff zu bekommen."

Im Moment heizt sich die Erde dauernd um 2 Watt/m² auf. Wir sind um 1,2 Grad über der Erdtemperatur des späten 19. Jahrhunderts.

Schon 1965 warnten Wissenschaftler vor dem Klimawandel. 1988 sagten Klimaforscher der NASA voraus, was im Augenblick Fakt ist.

Auf den Kontinenten ist die 4-Grad-Erwärmung schon da, aber mit den Ozeanen berechnet stehen wir bei 2 Grad.

Die Ölfirma Exxon hat auch ihre Klimaforscher. Sie sagten schon 1977 und noch einmal 1982 alles richtig voraus. Aber die Firma gab es nach außen nicht weiter. Überhaupt tauchen immer wieder gekaufte Wissenschaftler auf, die entwarnen.

In der Arktis/Antarktis kann man dem Eis beim Sterben zusehen. Die Eiskappe des Nordpols ist z. B. schon auf die Hälfte der Fläche reduziert; die Dicke halbiert sich ebenfalls.

Die neue Hitze

Die extremen Hitzesommer sorgen bei den Menschen für Übersterblichkeit. Der Sommer 2003 forderte z. B. 70 000 Tote. Das wurde aber in den heißen Folgejahren um das Vierfache übertroffen.

Im Jahr 2010 wirkte sich die Sommerhitze in Osteuropa hart aus: Brände um Moskau, Getreideernten fallen aus, die Brotpreise in Afrika steigen deswegen, es gibt Unruhen, der "arabische Frühling" ist eine Folge.

Regenmassen

Parallel kommt mehr Starkregen, von den Wissenschaftler seit 30 Jahren vorhergesagt. Seit 1990 kann man das nicht mehr mit Zufallschwankungen erklären. Denn seit dem Jahr verlässt die Regenkurve den statistischen Zufallskorridor.

Was die Ozeane heute mehr verdunsten, geht in den Starkregen. Gleichzeitig dörrt der Mittelmeerraum aus. Westspanien, Griechenland, Marokko und die Südtürkei sind betroffen, in Syrien ist es katastrophal. Dort war die Hitze noch sie so brutal. Ernten fielen aus, Hunger trieb zu Protesten, und Assad handelte nicht - der Krieg hat auch hier seine Wurzeln.

Stefan Rahmstorf war jahrelang im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung. Dort war sein Thema: Wie schürt das Klima die Politikkonflikte? Schwache Staaten werden unter dem Klimadruck zu versagenden Staaten.

2016 wurde der Ort Braunsbach in Hohenlohe von einer Starkregenflut durchspült, die Autos wie kleine Holzstücke mit sich zog. 2021 war das Ahrtal betroffen - Schweizer Forscher hatten ein Jahr vorher gewarnt: Genau das kommt.

In den USA brachte dieser Sommer 2021 große Brände und Rekorddürren. Die Rauchwolken zogen von Ost nach West bis zur Atlantikküste. Der Winter folgte mit Fluten.

Planetare Wellen

Einen Einfluss haben auch planetare Wellen, wozu der Jetstream gehört, in 10 km Höhe auf der Nordhalbkugel aktiv. Diese Luftströmung mäandert und nimmt kleine Kalt- und Warmbereiche in ihren Buchten auf. Aber momentan kommt es zu Stillständen. Die Kalt/Warm-Bereiche schaukeln sich dabei auf. Wochenlang bieten sie lokales Extremwetter.

Wie es mit der Hitze und Dürre weitergeht, wird noch erforscht, sagte Stefan Rahmstorf. Einen Einfluss darauf hat der Landblock unter der Arktis, der zunehmend eisfrei wird und sich erwärmt.

Die Folgen im Meer und Wald

Die Folgen des Klimawandels zeigte der Professor an einigen Beispielen. So ist das Korallensterben am Great Barrier Reef in Australien gut dokumentiert. Die Korallen sterben (bleichen) im zu warmen Oberflächenwasser und Algen haben ungehindert Zugang - der Korallenrest wird braun. Die Bremsfunktion des Riffs bei Sturmfluten ist dahin. Steigt nun die Erderwärmung um 2 Grad, sind alle Korallen verloren. Bleibt es bei 1,5 Grad, sind 10 bis 30 % rettbar.

In Deutschland haben wir das "neue Waldsterben". Und Feuer: Brandenburg litt z. B. im Vorjahr unter 400 Bränden.

Wenn der Kipp-Punkt loslegt

Schlimmer kann es werden, wenn Kipppunkte im Klimasystem schwanken und fallen: Bisher lagern sie ruhig wie in einer Mulde. Aber schiebt der vollkommen menschengemachte Klimawandel an einer Seite, dann stürzen die Kipp-Themen über den Muldenrand. Anschließend entwickelt sich eine Dynamik, die nicht mehr zu kontrollieren ist.

So ein Kipppunkt ist das Grönlandeis. Schmilzt es komplett, wird die Wassermasse zum Selbstläufer, ohen jede Bremse. Bei 1,2 bis 2,3 Grad zusätzlich beginnt unmerklich diese Schmelze. "Bei jedem Zehntel Temperaturanstieg wächst die Gefahr." Das Meer steigt irgendwann um 7 Meter an. Das kann 300 Jahre dauern, aber es ist vorhersehbar.

Schmilzt alles Eis am Nord- und Südpol, steigt das Meer um 65 Meter an. Ähnliches gab es einmal im Holozän ( = "das ganz Neue" (griech.); es ist die plötzliche Erwärmung nach der kalten Würmzeit, vor 11 700 Jahren begonnen und bis heute dauernd). Damals schmolzen 2/3 der Eismassen und das Meer ging um 120 Meter hoch. Ein Rest-Drittel des Eises blieb bis heute stehen. Das sind diese 65 Meter. "Wir lösen das Schmelzen aus und danach ist der Ablauf unaufhaltbar."

Lange konnte man den Anstieg der Meere nur an den Küsten messen. Aber heute ergänzen Satelliten. Ihre Messkurve geht in einem Bogen steil nach oben, d. h. mit Tempo. Seit 1890 stieg das Meer um 20 cm, "und schon das macht Probleme". Vor allem Ebbe und Flut wirken seitdem gewaltiger. So konnte der ausgedehnte Karibik-Hurrikan Sandy in New York im Oktober 2012 die U-Bahnen fluten.

Bis zum Jahr 2100 sieht Professor Rahmstorf einen Meeresanstieg zwischen 0,5 und 1 m voraus, bis 2300 um 15 m. Die Malediven wappnen sich schon: Auf einer erhöhten Kunstinsel wird neu gebaut.

Der Golfstrom muss halten

Rahmstorf ging zum Schluss auf den Golfstrom ein. Er bringt der amerikanischen Küste warmes Wasser, hat aber etwas südöstlich davon, mitten im Meer, einen sehr tief reichenden kalten Bereich, den "cold blob". Wenn jetzt die Atlantik-Zirkulation schwächer wird, weil kaltes Grönland-Schmelzwasser dazwischenfließt, kann der Golfstrom reißen. Seine Wärme kommt dann nicht mehr nach Europa. Daraufhin wird es in England, Frankreich, Deutschland und Dänemark/Norwegen kalt.

Weiter mit Vollgas

Rahmstorf zog als Fazit: Alle Prognosen der Wissenschaft treten ein, z. B. mit den Überschwemmungen in Pakistan. Darum muss man die Erderwärmung unter 2 Grad halten, bezogen auf die vor-industrielle Zeit. Die Anstrengungen dafür sind aber noch nicht genug. "Wir rasen weiter mit Vollgas auf der Autobahn." Und auch wenn man das CO² absenkt oder in Zukunft vermeidet - was schon an CO² in der Welt ist, bleibt dort für Tausende von Jahre. "Wir haben schon eine volle Badewanne", und jetzt darf sie nicht über den Rand schwappen. Schiebt man das Stoppen der Klima-Ursachen raus, "wird es immer schlimmer".

Oft wird Rahmstorf gefragt: Schaffen wir die Begrenzung auf 1,5 Grad noch? "Als Physiker sage ich: Ja." Auch deshalb, weil er sonst den Politikern die Ausrede gibt: Es klappt eh nicht, also können wir ja so weitermachen.

Sind die 1,5 Grad erreicht (ist die Erde also ohne eine Weitererwämung), dann fallen ab 2050 die Temperaturen leicht. Aber dafür muss man den "gesellschaftlichen Kipppunkt", den Greta Thunberg und Luisa Neubauer allen Menschen bewusst gemacht haben, stabil halten, d. h. "voll auf die Bremse treten".

Rahmstorf zeigte am Ende noch ein Bild vom Braunkohle-Abbau. Das Loch in der Landschaft, sein ganzer Kohle-Inhalt, "geht als Millliarden Tonnen CO² in die Luft und bleibt da".

Er schrieb drei Bücher: Der Klimawandel; und Wolken, Wind und Wetter; sowie 3 Grad mehr.

Die Diskussion

Es gab interessante Fragen.

1. Ein Student lernte aktuell in den ersten Semestern, dass man die Klimaschäden besser laufen lässt, weil die Wirtschaft dann weiter floriert. Der Mensch soll sich anpassen, z. B. mit kühlender Kleidung. Rahmstorf: Das ist eine veraltete These, von William Nordhaus postuliert. 2018 erhielt dieser den Wirtschafts-Nobelpreis mit Paul Romer für die "Integration des Klimwandels in die langfristige Makro-ökonomische Analyse". Auf Nordhaus geht auch die Idee einer CO2-Steuer zurück.

2. Was bringen Maschinen, die CO² aus der Luft saugen, so dass es - wie in Island - im Boden verpresst werden kann? Rahmstorf: Ein Riesenaufwand, der nur minimale Mengen erfasst. Denkbar ist es aber in der Landwirtschaft (für Kuhställe, wo viel Methan entsteht), ab 2050. Denn bis dahin ist überall der CO²-Ausstoß im Griff, doch bei den Bauern kann man ihn nicht runterfahren.

3. Alle 30 000 Jahre soll ein Polsprung kommen. Droht hier Gefahr? Der Professor beruhigte: Er kommt alle 30 Millionen Jahre. Aber wenn, dann krempelt er alles um.

4. Gibt es nicht schon genug CO²-Schlucker wie Wald und Meer? Rahmstorf: Zieht man alles ab, was von der Natur geschluckt wird, bleibt genau die Menge übrig, für die der Mensch allein verantwortlich ist. Er hat sie in die Welt gesetzt. Also muss er sich drum kümmern.

5. Ist die Atomenergie nicht doch weiterhin nötig, weil die Klima-Korrektur ja mehr Strom braucht? Rahmstorf: Erneuerbare Energien sind besser, weil Atomstrom teuer ist. Auch dauert es zu lange, bis ein Kraftwerk steht. Und die Endlagerung ist riskant. Auch gibt man Kriegs-Staaten mit dem Uranabfall den Stoff für Waffenbau. "Weltweit gibt es schon mehr Strom aus erneuerbaren Energiequellen als aus Atomkraftwerken."

6. Kann man nicht die steigende Erderwärmung nutzen, z. B. fürs Heizen? Es ist Abwärme, und Abwärme kann man nicht nutzen.

7. Eine Katastrophe wie jetzt beim Klima bringt immer auch neue Ideen. Sollte man sich da nicht als Wissenschaftler gut umhören, was z. B. die Jugend erfindet? Rahmstorf: Stimmt, darauf müsste ich bei meinen Vorträgen mehr hinweisen.

8. Wo sind die meisten Extremwetter? In Europa. Es ist der Welt-Hotspot. Aber die reichen Länder können sich schützen, arme Länder nicht.

Das Schlusswort von Stefan Rahmstorf: "Die Gesellschaft ist leider ein träger Dampfer. Aber er kann seinen Kurs ändern. Fridays for Future hat es vorgemacht."





Kontakt: Th. Knauber - E-Mail